Hintergrund
Grundgesetz Artikel 3, Absatz 3:
Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.
Mit der Ergänzung des Artikels 3 Absatz 3 des Grundgesetzes durch den Satz „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“ konnte im November 1994 endlich erreicht werden, dass ein Benachteiligungsverbot zu Gunsten behinderter Menschen tatsächlich Verfassungsrang erhielt.
Mit dem seit 01. Mai 2002 in Kraft getretenen Behindertengleichstellungsgesetz wurde dieser Verfassungsrang umgesetzt in ein Bundesgesetz, welches für Träger öffentlicher Gewalt ein Benachteiligungsverbot festschreibt. Zusätzlich legt dieses Gesetz fest, dass in Zielvereinbarungen als ergänzendes Instrument eine Herstellung von Barrierefreiheit auch für andere Bereiche geschaffen werden soll.
Damit durch Informationsvermittlung öffentlicher Stellen keine Benachteiligung für Menschen mit Behinderung entstehen kann, regelt eine seit dem am 28. April 2002 in Kraft getretene Rechtsverordnung Einzelheiten für Träger öffentlicher Gewalt des Bundes in Bezug auf Informationstechnik.
Das Land Nordrhein-Westfalen folgte 2004 mit einem entsprechenden Landesbehindertengleichstellungsgesetz, dem ebenfalls Rechtsverordnungen folgten:
- Verordnung zur Schaffung barrierefreier Informationstechnik nach dem Behindertengleichstellungsgesetz Nordrhein-Westfalen (Barrierefreie Informationstechnik-Verordnung Nordrhein-Westfalen - BITV NRW)
- Verordnung zur Zugänglichmachung von Dokumenten für blinde und sehbehinderte Menschen im Verwaltungsverfahren nach dem Behindertengleichstellungsgesetz NRW (Verordnung über barrierefreie Dokumente - VBD NRW)
- Verordnung zur Verwendung von Gebärdensprache und anderen Kommunikationshilfen im Verwaltungsverfahren nach dem Behindertengleichstellungsgesetz Nordrhein-Westfalen (Kommunikationshilfenverordnung Nordrhein-Westfalen - KHV NRW)
Dem Bundesbehindertengleichstellungsgesetz ging eine Änderung in der bundesdeutschen Sozialgesetzgebung voraus, weite Teile des Sozialen Gesetzbuches (SGB) wurden im Zuge des so genannten Paradigmenwechsels überarbeitet. So ist insbesondere in dem seit dem 1. Juli 2001 in Kraft getretenen Neunten Sozialgesetzbuch (SGB IX) zur Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen Selbstbestimmung festgeschrieben.
Stand in den Jahren im letzten Jahrhundert die Eingliederung von Menschen im Vordergrund sind jetzt selbstbestimmte Integration und Teilhabe Kernziele in der Gesetzgebung. Damit erhebt das SGB den Anspruch mehr als eine sozialrechtliche Regelung von Schnittstellen und Zuständigkeitslösungen zwischen einzelnen Rehabilitationsträgern zu sein nach dem Motto soziale Dienstleistung muss den Bürgerinnen und Bürgern folgen, nicht diese müssen den Dienstleistungen hinterherlaufen.
Kapitel 1 beschreibt allgemeine Regelungen, unter anderem:
- Definition von Behinderung,
- Beschreibungen der Leistungen zur Teilhabe,
- Festlegung der Rehabilitationsträger.
Nachfolgende Kapitel des SGB IX beschreiben deren Umsetzung.
Leistungen zur Teilhabe nach SGB IX sind:
- Leistungen zur medizinischen Rehabilitation,
- Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben,
- unterhaltssichernde und andere ergänzende Leistungen,
- Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft.
Internationale Bestrebungen
Antidiskriminierungsgesetze und Rechtsverordnungen, die eine Benachteiligung von Menschen mit Behinderungen verhindern sollen, sind nicht auf Deutschland beschränkt.
„Diskriminierung auf Grund einer Behinderung“ wird in Artikel 2 Begriffsbestimmungen Absatz 3 des Übereinkommens der Rechte behinderter Menschen der Vereinten Nationen (PDF) definiert als:
Im Sinne dieses Übereinkommens
...
bedeutet „Diskriminierung aufgrund von Behinderung“ jede Unterscheidung, Ausschließung oder Beschränkung aufgrund von Behinderung, die zum Ziel oder zur Folge hat, dass das auf die Gleichberechtigung mit anderen gegründete Anerkennen, Genießen oder Ausüben aller Menschenrechte und Grundfreiheiten im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen, bürgerlichen oder jedem anderen Bereich beeinträchtigt oder vereitelt wird. Sie umfasst alle Formen der Diskriminierung, einschließlich der Versagung angemessener Vorkehrungen;
USA
Eine Vorreiterrolle in Antidiskriminierungsgesetzen nehmen die USA ein, u.a. mit der folgenden Rechtsprechung:
- Americans with Disabilities Act (ADA),
verabschiedet 1990 - entspricht den Ergänzungen im deutschen Grundgesetz, - Rehabilitation Act,
verabschiedet 1973 - entspricht der bundesdeutschen sozialen Gesetzgebung (SGB IX), - Rehabilitation Act Amendments of 1998, Section 508 ("Einkaufsgesetz"),
novelliert 1998 - entspricht in der Zielsetzung in etwa dem BGG und nachfolgenden Verordnungen (BITV, VBD und KHV). - 2015: Die europäische Norm EN 301 549 wird als Ergänzung zur Sect 508 genannt
Europa
Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben sich verpflichtet Anti-Diskriminierung in ihrer Gesetzgebung festzuschreiben. Zum Zeitpunkt dieser Verpflichtung lagen die Ergänzungen im deutschen Grundgesetz bereits vor. Weitere europäische Verpflichtungen:
- eEurope - An Information Society for All [ehrgeiziges Projekt: Europa auf der Überholspur] = Entsprechungen in etwa: "Bund online", "Schulen ans Netz" u.a.
- darin:
eEurope Action Plan:- eAccessibility/eInclusion [Zugänglichkeit und Teilhabe für behinderte Menschen] = BGG, SGB IX
- Empfehlung die (WAI-) Richtlinien in den einzelnen Mitgliedstaaten zu übernehmen = BGG (BITV, VBD, KHV)
- Soll bis 2002: Zugänglichkeit (von Informationstechnik)!
- Soll bis 2005: Zugänglichkeit / Teilhabe aller!
Soll bis 2010: Europa in der Informationstechnik vor USA!
- darin:
eEurope 2002
Barrierefreiheit öffentlicher Webseiten steht im Vordergrund.
- 24.5.2000: Entwurf zu: eEurope 2002, An Information Society For All, Draft Action Plan, prepared by the European Commission for the European Council in Feira, 19-20 June 2000 (COM (2000) 330 final)
- Juni 2000: die Europäische Ratsversammlung in Feira bestätigt den "eEurope 2002 Action Plan" als Teil der künftigen 10-jährigen Lissabon-Strategie zur ökonomischen, sozialen und ökologischen Erneuerung. Darin unter anderem vorgesehen: Übernahme der WAI-Richtlinien in Gesetzgebungen der Mitgliedstaaten
- 25.09.2001: Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen:
eEurope 2002: Zugang zu öffentlichen Webseiten und deren Inhalten (KOM (2001) 529 endgültig) - 25.03.2002: Resolution der europäischen Kommission, dass die Mitgliedstaaten die WAI-Richtlinien für öffentliche Webseiten verpflichtend übernehmen sollen:
Council Resolution 25 March 2002 on the eEurope Action Plan 2002: accessibility of public websites and their content (2002/C 86/02), veröffentlicht im Journal der Europäischen Gemeinschaft am 10.4.2002 - 11.02.2003: Abschlußbericht zum eEurope-Aktionsplan: eEurope 2002 Final Report (COM(2003) 66 final)
eEurope 2005
Barrierefreiheit öffentlicher Webseiten steht nicht mehr so stark im Vordergrund, die Verantwortlichkeit hierfür wird bei den einzelnen Mitgliedstaaten gesehen. Es sollen vielmehr die Bereiche öffentlicher Dienstleistungen ausgebaut (e-Government, e-Learning, e-Health) und generell eher die Entwicklung barrierefreier Produkte und Dienstleistungen gefördert werden. (Weitere Informationen hierzu finden Sie auf den Archivseiten der EU zu eEurope 2005.)
- 28.5.2002: Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen,
eEurope 2005: An information society for all An Action Plan to be presented in view of the Sevilla European Council, 21/22 June 2002
Beobachtung durch Benchmarking wird vorgeschlagen - 13.9.2005: Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen:
eAccessibility [SEK(2005)1095] (KOM(2005)425 endgültig)
Auf freiwilliger Grundlage soll ein schlüssiger Ansatz für einschlägige Initiativen in den Mitgliedstaaten wie auch die Selbstregulierung der Wirtschaft gefördert werden. Innerhalb von zwei Jahren soll ein Follow-up der Situation im Bereich „e-Accessibility“ durchgeführt werden. Die Kommission kann dann zusätzliche Maßnahmen prüfen, einschließlich neuer Rechtsvorschriften, falls dies für erforderlich gehalten wird. - 28.11.2005: Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen:
Situation behinderter Menschen in der erweiterten Europäischen Union: Europäischer Aktionsplan 2006-2007 (KOM(2005) 604 endgültig) - 07.12.2005: Beauftragung der Standardisierungsinstitutionen CEN, CENELEC and ETSI mit dem Mandat 376 (DG ENTR/D4 M 376 - EN)
Ein einheitlicher europäischer Standard mit Anforderungen zur Barrierefreiheit von Produkten und Dienstleistungen im Bereich der Informations- und Kommuniktaionstechnologie wird angestrebt.
i2010
Inklusion insbesondere auf dem Arbeitsmarkt steht im Vordergrund, insbesondere sollen Produkte und Dienstleistungen in allen Lebensbereichen ausgebaut und für alle zugänglich werden (e-Inclusion, e-Accessibility)
- 1.6.2005: Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen,
i2010 – Eine europäische Informationsgesellschaft für Wachstum und Beschäftigung {SEC(2005) 717} (KOM(2005) 229 endgültig)
i2020
Wettbewerbsfähigkeit und wirtschaftliches Wachstum stehen im Vordergrund, in diesem Zusammenhang erfolgt eine weitere Harmonisierung der bestehenden Empfehlungen und Richtlinien.
- 3.3.2010: Mitteilung der Kommission: EUROPA 2020, eine Strategie für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum (KOM(2010) 2020 endgültig)
- 3.12.2012: Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den barrierefreien Zugang zu Websites öffentlicher Stellen COM(2012) 721 final
- 19.02.2014: Das Konsortium zum im Jahr 2005 beschlossenen Mandat 376 legt die EN 301 549 als Ergebis vor: DIN EN 301549:2015-11 – Anforderungen an die Barrierefreiheit für öffentliche Beschaffung von IKT-Produkten und -Dienstleistungen in Europa (Bisher nur in englischer Sprache veröffentlicht: Accessibility requirements suitable for public procurement of ICT products and services in Europe).
- 22.12.2016: Inkrafttreten der EU-Webrichtlinie (Richtlinie (EU) 2016/2102 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2016 über den barrierefreien Zugang zu den Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen). Mit dieser Richtlinie sind weitere Umsetzungsmaßnahmen verbunden, die in der Gesetzgebung verankert wird (Zusammenfassung: Fristen im Rahmen der neuen EU-Richtlinie für barrierefreies Internet ).
Vereinte Nationen
Am 13. Dezember 2006 hatten die Vereinten Nationen die UN-Konvention über die Rechte behinderter Menschen verabschiedet. Die Bundesrepublik Deutschland hat diese Konvention am 30. März 2007 in New York unterzeichnet.
Die Vertragsstaaten dieses Übereinkommens verpflichten sich die volle und gleichberechtigte Ausübung aller Menschenrechte und Grundfreiheiten durch alle behinderten Menschen zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten und die Achtung ihrer angeborenen Würde zu fördern. Die Konvention enthält auch einen Passus zur Barrierefreiheit von angebotenen Informations- und Kommunikationsdiensten.
Letzte Aktualisierung am 09.07.19