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Barrierefreiheit ist Pflicht

Viele Menschen profitieren von Barrierefreiheit. Ihr positiver, fördernder Einfluss auf die Autonomie und Lebensqualität von Menschen ist bekannt. Allerdings führen gute Ideen und Absichten allein auf freiwilliger Basis nicht zu deren zielgenauer und vollständiger Umsetzung.

Zu einem umfassenden Verständnis von Barrierefreiheit gehört daher auch eine Betrachtung aus rechtlicher Perspektive. Rechte und Pflichten in Bezug auf die Umsetzung von Barrierefreiheit lassen sich prinzipiell bereits aus dem Grundgesetz und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (Artikel 2 & 3 Grundgesetz, Artikel 1 & 2 AEMR) ableiten. Um humanitären Zielen wie der Entfaltung der Persönlichkeit, Gleichbehandlung und Chancengleichheit aller Menschen Geltung zu verschaffen, werden außer Regeln, die beispielsweise das soziale Miteinander betreffen, auch Regelungen für ein barrierefreies Umfeld benötigt.

Einige wichtige Gesetze, die die Umsetzung von Barrierefreiheit in Deutschland und in Nordrhein-Westfalen betreffen, werden im Folgenden kurz vorgestellt. Die Reihenfolge der Vorstellung richtet sich nach dem Jahr ihres Inkrafttretens. Die neuesten Gesetze und Verordnungen erscheinen zuerst.

Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG)

Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/882 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen

(2021, Bundesgesetz)

Bisher war Barrierefreiheit lediglich für öffentliche Stellen durch verschiedene Gesetze und Verordnungen vorgeschrieben. Mit dem sogenannten European Accessibility Act (EAA) (Europäische Barrierefreiheits-Verordnung: Richtlinie (EU) 2019/882 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019 über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen) wird nun auch die Privatwirtschaft zur Barrierefreiheit verpflichtet. Die Richtlinie wurde in Deutschland mit dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) vom 16. Juli 2021 umgesetzt, die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen nach dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz ergeben sich aus der Verordnung zum Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSGV) vom 15. Juni 2022.

Etwas vereinfacht ausgedrückt regelt dabei das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz welche Maßnahmen auf Wirtschaftsakteure und Marktüberwachungsbehörden zukommen – also „wer was“ umsetzen muss, während die Verordnung zum Barrierefreiheitsstärkungsgesetz eher beschreibt „wie“ dies in welchen Produkten und Dienstleistungen und auf welche Art und Weise zu erfolgen hat.

Für Produkte gilt:

  • Informationen zur Nutzung von Produkten sowie Verpackungen und Anleitungen der Produkte müssen einige grundlegende Anforderungen zur Barrierefreiheit entsprechen
  • Benutzerschnittstellen und Funktionalität von Produkten müssen einige Anforderungen zur Barrierefreiheit erfüllen.
    Dies gilt u.a. für sämtliche Computer-Hardware einschließlich der entsprechenden Betriebssysteme, für Selbstbedienungsterminals, für E-Book-Lesegeräte, für Verbraucherendgeräte mit interaktivem Leistungsumfang, die entweder zur Bereitstellung von Telekommunikationsdiensten eingesetzt werden oder für den Zugang zu audiovisuellen Mediendiensten verwendet werden.

Für Dienstleistungen gilt:

  • Bankdienstleistungen und Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr müssen barrierefrei sein (dies betrifft den gesamten Online-Handel für Verbraucherinnen und Verbraucher).
  • Darüber hinaus gibt es zusätzliche Anforderungen für Telekommunikationsdienste, Personenbeförderungsdienste und regionale Verkehrsdienste.

Folgende Produkte und Dienstleistungen der Privatwirtschaft müssen ab 28. Juni 2025 barrierefrei sein:

  • gesamter Online-Handel für Verbraucherinnen und Verbraucher
  • sämtliche Hardware-Systeme (Computer, Notebooks, Smartphones etc.) einschließlich der entsprechenden Betriebssysteme
  • Zahlungsterminals an nicht virtuellen Verkaufsstellen (Kartenlesegerät im Geschäft, Fahrkartenautomat, Parkschein-Automat etc.)
  • Fernsehgeräte für digitale Fernsehdienste
  • Bankdienstleistungen einschließlich Geld/Bankautomaten
  • Telefondienste und dazugehörige Dienste (elektronische Kommunikation), einschließlich der Produkte, die hierbei benutzt werden (Telefone, Router, Modems)
  • E-Books (einschließlich Software und Lesegeräten)
  • Zugang zu audiovisuellen Medien (d.h. Angebote der Fernsehanstalten zzgl. Video-on-demand-Angebote); die audiovisuellen Mediendienste selbst sind nicht erfasst (deren Barrierefreiheit ist in eigener Richtlinie geregelt)
  • bestimmte Dienstleistungen in den Bereichen der Personenverkehrsdienste (Bahn, Bus, Schiff, Flugzeug)

Für Selbstbedienungsterminals und Dienstleistungen, welche bereits vor dem 28. Juni 2025 angeboten wurden, gelten andere Umsetzungsfristen:

  • Dienstleistungen, welche bereits vor dem 28. Juni 2025 angeboten wurden, müssen ab dem 27. Juni 2030 barrierefrei sein.
  • Selbstbedienungsterminals, welche bereits vor dem 28. Juni 2025 in Betrieb waren, dürfen bis zum Ende ihrer wirtschaftlichen
    Nutzungsdauer, aber nicht länger als fünfzehn Jahre nach ihrer Ingebrauchnahme weiter betrieben werden (d.h. bis Juni 2040).
Links und Verweise:

Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung NRW (BITV NRW)

Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung Nordrhein-Westfalen

(2019, Rechtsverordnung des Landes)

Die Verordnung zur Schaffung barrierefreier Informationstechnik nach dem Behindertengleich­stellungsgesetz Nordrhein-Westfalen konkretisiert die Anforderungen an die Barrierefreiheit von Webauftritten und mobilen Anwendungen der öffentlichen Stellen des Landes, gemäß § 10 BGG NRW. Es ist gefordert, dass diese digitalen Angebote von Menschen mit Behinderungen uneingeschränkt genutzt werden können.

Die Verordnung gilt für alle Webauftritte und mobilen Angebote öffentlicher Stellen des Landes. "Von den Vorgaben zur Barrierefreiheit darf nur abgewichen werden, wenn (...) die barrierefreie Gestaltung (...) für öffentliche Stellen des Landes einen unverhältnismäßigen Aufwand bewirkt" (§ 10 (4) BGG NRW), z.B. wenn Webauftritte oder mobile Angebote, ausschließlich einem fest umrissenen Nutzerkreis zur Verfügung stehen. Wesentliche Gestaltungsgrundsätze für die technische Umsetzung der Barrierefreiheit von Webauftritten und mobilen Angeboten sind die Sicherstellung der Wahrnehmbarkeit, Bedienbarkeit, Verständlichkeit und Robustheit der technischen Funktionen. Es müssen die Standards der harmonisierten EU Norm EN 301 549 beachtet werden. Die WCAG 2.1, die den aktuellen Stand der Technik im Bereich der Webseitengestaltung abbilden, sind Bestandteil dieser Norm.

Die BITVNRW referenziert auf entsprechende Regelungen des Bundes (BITV 2.0 – 2011, Barrierefreie Informationstechnik-Verordnung des Bundes) und der EU (EU Web Richtlinie – 2016, Richtlinie 2016/2102 des europäischen Parlaments und des Rates über den barrierefreien Zugang zu den Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen).

Links und Verweise:

Bauordnung Nordrhein-Westfalen

Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen

(2018, Landesgesetz)

Die Landesbauordnung regelt das Bauen in Nordrhein-Westfalen. Sie enthält auch gesetzliche Regelungen zum Barrierefreien Bauen. Die Regelungen zur Barrierefreiheit sollen die Vorgaben der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN-BRK) umsetzen.

Durch Unterzeichnung der UN-BRK hat sich die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, dafür zu sorgen, dass Menschen mit Behinderungen ein unabhängiges Leben führen und in allen Lebensbereichen teilhaben können. Hierfür muss der deutsche Staat die Rahmenbedingungen schaffen, indem er unter anderem Baustandards zur Barrierefreiheit einführt und deren Umsetzung kontrolliert.

Barrierefreiheit ist eine der Grundlagen für ein selbstbestimmtes Leben und eine gleichberechtigte Teilhabe insbesondere von Menschen mit Behinderung und älteren Menschen.

Artikel 9 der UN-BRK fordert, dass öffentlich zugängliche Gebäude für Menschen mit Behinderungen gleichermaßen zugänglich sein müssen wie für andere Menschen.

Nach Artikel 19 der UN-BRK sollen Menschen mit Behinderungen entscheiden dürfen, wo und mit wem sie leben, und sind nicht verpflichtet, in besonderen Wohnformen zu leben.

Die Bauordnung Nordrhein-Westfalen stellt Anforderungen an die Barrierefreiheit von öffentlich zugänglichen Gebäude und Wohnungen, wenn sie neu gebaut, umgebaut oder anders genutzt werden.

Konkrete Informationen zu den Anforderungen der Bauordnung Nordrhein-Westfalen finden Sie im Menüpunkt "Barrierefreiheit umsetzen" unter Gebäude.

Links und Verweise:

Bundesteilhabegesetz (BTHG)

Bundesteilhabegesetz (BTHG)

(2016, Bundesgesetz)

Das Bundesteilhabegesetz (BTHG) stellt eine große inhaltliche und strukturelle Reform des Rehabilitationsrechts in Deutschland dar, die sich seit 2017 in mehreren Stufen in der Umsetzung befindet. Ausgelöst von der UN-BRK von 2009 soll es dazu beitragen, die Lebenssituation von Menschen mit Behinderung durch mehr Selbstbestimmung und Teilhabe zu verbessern. Durch das BTHG wird ein Verständnis von Behinderung nach den Vorgaben der UN BRK zur Grundlage für Leistungen zu Rehabilitation und Teilhabe. "Menschen mit Behinderung sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können.“

Das Gesetz regelt die individuellen Fördermöglichkeiten zur Teilhabe von Menschen mit Behinderungen neu. Es ermöglicht bedarfsorientierte, koordinierte Leistungen unter anderem bei Grundsicherungs - und Eingliederungshilfe, Assistenzleistungen, Beratung, Hilfsmittelversorgung und Arbeitsplatzanpassung, deren Wirkung durch umfassende Barrierefreiheit in den Sozial- und Lebensräumen z.B. beim Wohnen, am Arbeitsplatz, im Amt oder Bürgerbüro oder beim Reisen erst voll zur Entfaltung kommt.

Links und Verweise:

UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK)

Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen

(2008, weltweit gültiges Menschenrecht)

Auf internationaler Ebene werden in insgesamt 50 Artikeln, allgemeine Grundrechte formuliert. Die UN-BRK leitet einen Paradigmenwechsel in der Sicht auf Menschen mit Behinderungen ein. Sie setzt voraus, dass Menschen mit Behinderungen als Handelnde und selbstbestimmte Subjekte der Gesellschaft und nicht mehr als Objekt der Fürsorge wahrgenommen werden. 2009 ist die UN-BRK in Deutschland in Kraft getreten. Ziele der UN-BRK sind:

  • die volle und gleichberechtigte Teilhabe in allen Lebensbereichen
  • und die selbst-bestimmte Lebensführung.

Von Relevanz für die Herstellung von Barrierefreiheit ist insbesondere Artikel 9. In ihm wird den Unterzeichnerstaaten die Pflicht auferlegt, Maßnahmen zu ergreifen, die unter anderem den Zugang zur physischen Umwelt, zu Transportmitteln, Information und Kommunikation, einschließlich Informations- und Kommunikationstechnologien und -systemen ermöglichen. In Artikel 21 wird das Recht auf einen Zugang zu Informationen festgelegt. Die UN-BRK soll unter Einbeziehung der Menschen mit Behinderungen, z. B. durch Schaffung von Möglichkeiten zur politischen Teilhabe, umgesetzt werden.

Links und Verweise:

Behindertengleichstellungsgesetz NRW (BGG NRW)

Gesetz des Landes Nordrhein-Westfalen zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen

(2003, Landesgesetz)

Das Behindertengleichgestellungsgesetz NRW konkretisiert das Behindertengleichstellungsgesetz des Bundes auf Landesebene.

Barrierefreiheit wird im BGG NRW § 4 wie folgt definiert: „Barrierefreiheit im Sinne dieses Gesetzes ist die Auffindbarkeit, Zugänglichkeit und Nutzbarkeit der gestalteten Lebensbereiche für alle Menschen. Die Auffindbarkeit, der Zugang und die Nutzung müssen für Menschen mit Behinderung in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe möglich sein. Hierbei ist die Nutzung persönlicher Hilfsmittel zulässig. Zu den gestalteten Lebensbereichen gehören insbesondere bauliche und sonstige Anlagen, die Verkehrsinfrastruktur, Beförderungsmittel im Personennahverkehr, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsvereinbarung, akustische und visuelle Informationsquellen sowie Kommunikationseinrichtungen. Zur Auffindbarkeit, Zugänglichkeit und Nutzbarkeit gehört auch die Gewährleistung der Verständlichkeit von Informationen.“

In § 4 (4) des BGG NRW ist zudem festgelegt, dass das Land eine Agentur, die „Agentur Barrierefrei NRW“ unterhält. Sie stellt den Verbänden und Organisationen der Menschen mit Behinderungen, sowie den Trägern öffentlicher Belange ein Informations- und Beratungsangebot zur Verfügung und unterstützt landesweit und mit unabhängiger Expertise die Entwicklung und Umsetzung von Konzepten zur Herstellung von technologiegestützter Barrierefreiheit.

Links und Verweise:

Behindertengleichstellungsgesetz (BGG)

Gesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen

(2002, Bundesgesetz)

Das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) zielt darauf ab, die Benachteiligung von Menschen mit Behinderungen zu verhindern (§§ 1, 7 BGG) und verleiht durch seine Verabschiedung im Jahr 2002 dem Benachteiligungsverbot im Artikel 3 des Grundgesetzes - „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“ - Nachdruck. Das zuletzt im Jahr 2018 novellierte BGG setzt die Grundforderungen der UN-BRK nach gleichberechtigter Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und der Möglichkeit einer selbstbestimmten Lebensführung in nationales Recht um. In §4 werden grundsätzliche Anforderungen an die Barrierefreiheit formuliert. Konkrete Regelungen betreffen die Bereiche Bau und Verkehr (§ 8), Kommunikation (§ 9), Bescheide und Vordrucke (§ 10), Verständlichkeit und Leichte Sprache (§ 11) sowie Informationstechnik (§ 12) und gelten für die Träger öffentlicher Belange des Bundes. Es fungiert als Rahmengesetz für die länderspezifischen Behindertengleichstellungsgesetze.

Links und Verweise: