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Mit Psychologie zur digitalen Barrierefreiheit

Herr Wallbruch, Sie sind Diplom-Psychologe und verantworten den Bereich IT & Dokumente bei der Agentur. Wie viel Psychologe steckt in der digitalen Barrierefreiheit?

Herr Wallbruch: Sehr viel. Barrierefreiheit legt den Grundstein, damit Produkte überhaupt bedienbar sind. Sie bildet so die Grundlage für die einfache, effiziente und effektive Nutzung. Die Untersuchung derartiger Nutzungsverhalten, auch Gebrauchstauglichkeit oder Usability (auch UX = User Experience) genannt, ist ein klassisches Aufgabengebiet für Psychologen. Gerade wenn es um Interaktionen, Eindrücke und Erlebnisse im IT-Bereich, bei Webseiten und Software geht, spielt das Nutzungserlebnis eine große Rolle.

Foto von Rainer Wallbruch

Wie fanden Sie Ihren Weg zur Agentur und der digitalen Barrierefreiheit?

Rainer Wallbruch: Mein Weg zur digitalen Barrierefreiheit ist schon sehr lang. Ursprünglich hatte ich mich mit Geräten zur unterstützenden Kommunikation für nichtsprechende Menschen befasst. Anfang der Neunzigerjahre wurden die ersten Software-Programme hierfür entwickelt. In diesem Zusammenhang hatte ich mich dann mit individuellen Ansteuerungsmöglichkeiten von Computern durch Menschen mit Behinderungen befasst, ebenso mit ersten Anforderungen zur Barrierefreiheit an Webseiten und Software. Dies ist seitdem mein Thema in verschiedenen Projekten, in Beratungen und Forschungstätigkeiten.

Die digitale Barrierefreiheit gilt für alle IT-Bereiche, also Hard- und Software, Webseiten und mobile Anwendungen („Apps“ genannt), Betriebssysteme und individuelle Softwareanwendungen. Welche goldenen Regeln müssen für die digitale Barrierefreiheit beachtet werden?

Rainer Wallbruch: Mit den ersten Richtlinien Ende der Neunzigerjahre von IBM und der WCAG 1, Web Content Accessibility Guidelines (englisch für „Richtlinien für barrierefreie Webinhalte“), haben sich bereits 4 Grundprinzipien für die digitale Barrierefreiheit herauskristallisiert: Wahrnehmbarkeit, Bedienbarkeit, Verständlichkeit und technische Robustheit müssen immer gewährleistet sein.

Wo befinden wir uns im Hinblick auf die digitale Barrierefreiheit? Welche wesentlichen Schritte müssen wir noch gehen?

Rainer Wallbruch: Seit rund 20 Jahren gibt es die BITV, Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung, die öffentliche Stellen zur digitalen Barrierefreiheit von Webseiten, Dokumenten und mobilen Anwendungen verpflichtet. Damals hatte ich gehofft, dass in ein bis zwei Jahren alle digitalen Barrieren verschwunden sind. Das war leider nicht so einfach. Zum einen schaffen neue Techniken manchmal neue Probleme, zum anderen ist Barrierefreiheit bisher nicht verpflichtender Bestandteil von Aus- und Weiterbildung in Berufen, die sich mit IT befassen. Übrigens, auf die Privatwirtschaft kommen demnächst ab 2025 mit dem BFSG (Barrierefreiheitsstärkungsgesetz) teilweise ähnliche Anforderungen zu.

Woher nehmen Sie dennoch Ihre Motivation, auch wenn Sie seit 27 Jahren in diesem Bereich tätig sind?

Rainer Wallbruch: Auch wenn es immer noch digitale Barrieren gibt, ist es nicht so, dass in den letzten 27 Jahren nichts passiert ist. Es ist motivierend zu sehen, dass, wenn alle an einem Strang ziehen, auch etwas passiert. Es ändert sich etwas. Dass es rein technisch keinen Stillstand gibt und neue Chancen immer auch neue Risiken bedeuten und neue Entwicklungen eventuell zu neuen Barrieren führen, nehme ich gerne zum Anlass weiterzumachen: Barrierefreiheit einzufordern, Kenntnisse und Wissen um digitale Barrierefreiheit weiterzugeben.

Was wünschen Sie sich für die nächsten 10/20 Jahre in Bezug auf die digitale Barrierefreiheit?

Rainer Wallbruch: Ich wünsche mir, dass Barrierefreiheit von vornherein von allen mitgedacht und umgesetzt wird, am besten so, dass Verordnungen gar nicht erst notwendig sind und uns allen keine Barrieren mehr begegnen.

 

-- aus unserem Newsletter Juni 2023 --

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